Manaslu — Berg der Seelen

Filmkritik


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24. April 2020 • Autor: red.


In den achtziger und neunziger Jahren prägte kaum jemand das Höhenbergsteigen im Himalaya so sehr wie Hans Kammerlander. Unzählige Rekorde und Pionierleistungen gehen auf das Konto des kontroversen Südtirolers. Das Dokudrama Manaslu – Berg der Seelen widmet sich dem bewegten Leben des Ausnahmebergsteigers, mit all seinen Höhen und Tiefen.

»Weitergehen ist die einzige Möglichkeit«, betont Kammerlander gleich zu Beginn des Filmes. Obwohl er die Berge zeitweise — speziell nach den Ereignissen am Manaslu (8163m) im Mai 1991 — als Feindbild betrachtete, haben sie für Kammerlander nie ihre Faszination verloren.

Nach einer kurzen Highlight-Montage begegnen wir Kammerlander zunächst in seinen Kindheitstagen. Geradezu romantisch erscheinen die nachgestellten Szenen auf dem elterlichen Bergbauernhof nahe Ahornach, auf dem er seine Jugend verbringt. In der heimischen Stube lauscht er im Radio der ersten Winterbesteigung der Drei Zinnen (2999m), blickt nachts sehnsüchtig hinüber zur Nordwand des Peitlerkofel (2875m), und besteigt im Alter von acht Jahren mit dem Großen Moosstock (3059m) seinen ersten Berg. Nach dem frühen Tod seiner Mutter gibt es für Kammerlander endgültig kein Halten mehr. Immer öfter zieht es ihn in die Berge, wo er nach immer neuen Abenteuern sucht.


Ob ich jetzt ein Seil gehabt habe oder kein Seil, war mir eigentlich egal.

— Hans Kammerlander: Manaslu


Im Jahr 1982 beginnt für Kammerlander plötzlich ein neues Lebenskapitel: Während er auf dem elterlichen Bergbauernhof die Kühe füttert, ruft ihn Reinhold Messner an und lädt ihn zum Cho Oyu (8188m) ein. Ein Angebot, das Kammerlander nicht ablehnen kann. Gemeinsam besteigen sie in den folgenden Jahren sieben Achttausender. Im Fokus steht vor allem die historische Doppelüberschreitung am Gasherbrum, die in dieser Form bis heute einzigartig ist. Ausgiebig lässt Kammerlander im Gespräch mit Werner Herzog, der die Expedition damals dokumentarisch begleitete, die Glücksgefühle und Todesängste von damals Revue passieren.

Nachdem Messner seine Achttausender-Karriere 1986 schließlich beendet, hat Kammerlander endlich die Möglichkeit seine eigenen Ziele zu verwirklichen. Im Jahr 1996 reist er zum Mount Everest (8848m), den er in gerade einmal 16 Stunden und 40 Minuten besteigt — ein Rekord, der bis heute ungebrochen ist. Und als wäre diese Leistung nicht beeindruckend genug, krönt Kammerlander seine Expedition mit der ersten Skiabfahrt vom Dach der Welt.

Kammerlanders Erfolg am Mount Everest (8848m) hat jedoch nicht nur positive Seiten. Zunehmend kommen auch die Charakterschwächen des Südtirolers zum Vorschein: Eigensinnigkeit, Disziplinlosigkeit, und Verantwortungslosigkeit. Den Tiefpunkt erreicht Kammerlander im Jahr 2013, als er mit 1,4 Promille im Blut einen Autounfall verursacht, der einem jungen Mann das Leben kosten wird.

Im letzten Drittel des Films kehrt Kammerlander schließlich zurück ins Himalaya-Gebirge, wo ihn mit dem Manaslu (8163m) ein alter Bekannter erwartet. Kein Berg habe ihn so sehr geprägt wie dieser, erzählt Kammerlander. Es ist genau hier, wo er im Jahr 1991 innerhalb von nur vier Stunden zwei seiner besten Freunde verliert. In einer packend inszenierten Sequenz wird die Tragödie noch einmal zum Leben erweckt.


Der Berg ist damals für mich einfach zu einem Feindbild geworden.

— Hans Kammerlander: Manaslu


Jetzt, 26 Jahre nach dieser Tragödie, will Kammerlander endlich Frieden schließen mit der Vergangenheit. Es wird, wie er sagt, sein letzter Besuch des Manaslu (8163m) sein.

Gerald Salmina, der sich 2009 mit seinem Regiedebüt Mount St. Elias bereits einen Namen gemacht hat, kehrt mit Manaslu – Berg der Seelen erneut zurück in die Welt der Berge. Den Genrekonventionen getreu vermischt Salmina dabei alte Archivaufnahmen und nachgestellte Szenen zu einem kurzweiligen Bergsteiger-Portrait. Während manche Sequenzen aus Kammerlanders Jugend etwas kitschig wirken, sind die Szenen speziell im letzten Kapitel des Films absolut packend inszeniert. Der Horror, als der Sturm wilde Schneefahnen durch die Nacht treibt und das Elmsfeuer blaue Funken vom Eispickel Kammerlanders sprühen lässt, wird dem Zuschauer noch lange in Erinnerung bleiben.

Trotz vieler Parallelen zu Andreas Nickels Dokudrama Messner überrascht Salminas Bergportrait mit einer erstaunlichen Ehrlichkeit. Während Messner in seinem Film relativ unkritisch präsentiert wird, beleuchtet Salmina sowohl die Licht- als auch die Schattenseiten Kammerlanders. Neben Kammerlander, der als Erzähler selbst die Narration vorantreibt, kommen in mehreren Interviewsequenzen viele seiner alten Weggefährten zu Wort — und nicht alle davon haben schmeichelhafte Worte für den Südtiroler übrig. Imponierend ist vor allem der Auftritt von Werner Herzog, der Kammerlander beim Gespräch über dessen Autounfall schonungslos auf den Zahn fühlt.

Alles in allem ist Gerald Salmina mit Manaslu – Berg der Seelen ein ausgezeichnetes Bergsteiger-Portrait gelungen, das nicht nur Kammerlanders Lebensweg mit packenden Bildern nacherzählt, sondern auch Einblicke in die Psyche des Südtirolers zu bieten hat. Wem Messner gefiel, dem wird auch dieses Dokudrama gefallen.

Titel: Manaslu – Berg der Seelen • Spielzeit: 128 Minuten • Freigabe: ab 12 Jahren • Release: 2018