Das Libysche Meer zwischen Agios Pavlos und Agia Roumeli.

Eine Reise in die Antike

Von Agios Ioannis nach Agia Roumeli


08./09. Mai 2018 • Autor: red.


Übersicht

Dieser Bericht beschreibt die Wanderung von Agios Ioannis nach Agia Roumeli an der Südküste Kretas. Unsere Tour beginnt am späten Abend im abgeschiedenen Bergdorf Agios Ioannis und führt uns über einen gut ausgebauten Weg hinab zum Libyschen Meer. Nach einer Nacht am Strand von Agios Pavlos folgen wir am nächsten Morgen der Küste gen Westen, bis wir das Fischerdorf Agia Roumeli erreichen.

Schwierigkeit: T2GPS-Route: Download

Auf zur nächsten Etappe

Nachdem wir mit dem Psiloritis (2456m) vor wenigen Stunden erst den höchsten Berg von Kreta bestiegen haben, ruft uns bereits das nächste Abenteuer. Während die Sonne sich langsam dem Horizont nähert, jagen wir mit unserem Mietwagen den Lefka Ori – den Weißen Bergen – im Südwesten der Ägäischen Insel entgegen. Von der Passstraße oberhalb der Imbros-Schlucht können wir bereits Chora Sfakion, ein kleines Fischerdorf am Libyschen Meer, erkennen. Nur ein paar Kilometer weiter, westlich von Anopoli, befindet das Ziel unserer Fahrt.

Ein ambitionierter Plan

Um 18:45 Uhr taucht das abgelegene Bergdorf Agios Ioannis (770m) vor unserer Windschutzscheibe auf. Direkt am Ortseingang stellen wir unseren Mietwagen ab und strecken uns erst einmal. Dann ist Packen angesagt! Während wir die Ausrüstung im Kofferraum durchstöbern, gehen wir sicherheitshalber noch einmal unseren Plan für die nächsten Tage durch.

Das Bergdorf Agios Ioannis auf Kreta.

Am späten Abend erreichen wir das Bergdorf Agios Ioannis an der Südküste Kretas.

Gemeinsam wollen wir heute Abend noch von Agios Ioannis bis nach Agia Roumeli (12m) wandern und dort die Nacht am Strand verbringen. Morgen soll es dann die berüchtigte Samaria-Schlucht hinaufgehen. An deren oberen Ende trennen sich schließlich unsere Wege. Für mich geht es direkt weiter zur Kallergi-Hütte (1680m), die mir übermorgen als Stützpunkt für die Besteigung des Melindaoú (2133m) dienen soll. Mein Begleiter steigt hingegen wieder die Schlucht hinab und kehrt zurück nach Agios Ioannis. Seine Tochter hat übermorgen Geburtstag, und den will er nicht verpassen.

Vor uns liegt ein Mammutprogramm! In gerade einmal 48 Stunden muss ich 44 Kilometer und 3400 Höhenmeter zurücklegen. Meinen Begleiter erwartet das gleiche Pensum, allerdings in einem Zeitraum von lediglich 24 Stunden. Beim Gedanken an diese Eckdaten können wir nur schmunzeln. Es besteht kein Zweifel: Unser Plan ist genauso ambitioniert wie unrealistisch. Dennoch wollen wir es versuchen!

Die Kunst des Packens

Um Zeit und Kraft zu sparen, versuchen wir nur das Nötigste zu packen. Das Zelt lassen wir im Auto, genauso wie die Regenjacken und das Koch-Equipment. Auch das schwere Kamera-Stativ muss diesmal im Kofferraum bleiben. Als Ausgleich beladen wir unsere Rucksäcke mit soviel Wasser wie nur möglich. Knappe sechs Liter werden wir jeweils mit uns herumschleppen. Das klingt nach Übereifer, aber im Moment wissen wir noch nicht, ob wir unterwegs unsere Trinkvorräte auffüllen können oder nicht.

Ein herrlicher Abend

Gegen 19 Uhr sind wir abmarschbereit. Zügig schultern wir die schweren Rucksäcke und machen uns auf den Weg, der uns zunächst über eine breite Teerstraße, dann über einen steinigen Trampelpfad mäßig bergab führt. Im letzten Licht des Tages erreichen wir kurz darauf einen Hain, der von Zypressen und Kalabrischen Kiefern gesäumt wird. Während wir durch den lichten Wald spazieren, versinkt die Sonne mit einem kräftigen Orange langsam am Horizont. Es ist ein herrlicher Abend!

Sonnenuntergang über der Südküste von Kreta.

Das letzte Licht des Tages verschwindet langsam hinter den Weißen Bergen.

Abstieg zum Libyschen Meer

Nach etwa einer Dreiviertelstunde erreichen wir über eine schmalen Feldweg schließlich die Klippen, die von den Einheimischen auch Selouda (540m) genannt werden. Während der Weg bis jetzt relativ eben war, geht es von nun an äußerst steil dem Libyschen Meer entgegen. Doch zu unserer positiven Überraschung ist der leicht ausgesetzte Weg erstaunlich schön zu gehen. Während es langsam immer dunkler wird, folgen wir den gepflasterten Serpentinen Kehre für Kehre nach unten. Im Westen können wir bereits die ersten Lichter von Agia Roumeli sehen. Unter uns ist hingegen lediglich das Rauschen des Meeres zu vernehmen.

Blick auf die Bucht von Agia Roumeli.

Von der Abbruchkante können wir einen ersten Blick auf die Bucht von Agia Roumeli erhaschen.

Nachdem wir einen Geröllhang traversiert haben, verschwindet unser Steig schließlich im finsteren Kiefernwald. Für ein paar Minuten tasten wir uns noch vorsichtig durch die Dunkelheit, dann müssen wir notgedrungen doch unsere Stirnlampen hervorkramen. Mit den LED-Strahlern als Ariadnefaden suchen wir fortan den Weg hinaus aus dem labyrinthischen Forst. Als wir kurz darauf den E4 erreichen, sind wir glücklicherweise aus dem Gröbsten heraus.

Feierabend in Agios Pavlos

Der Weg flacht ab und führt uns nun relativ locker an der Küste entlang gen Westen. Es dauert nicht lange, bis sich der Wald zu lichten beginnt und wir den Strand von Agios Pavlos (7m) erreichen. Aus der kleinen Taverne Saint Paul, die verloren das Libysche Meer überblickt, dringt schallendes Gelächter. Kurz inspizieren wir noch den anliegenden Strand, dann stapfen wir über die steinernen Stufen zu der einladenden Schenke hinauf. Auf der Terrasse werden wir von ein paar Jungs aus Deutschland, einem jungen Mädel aus Gott-weiß-woher, und den beiden Wirtsleuten empfangen.

Mit einem heiteren »Hellas« begrüßt uns der junge Wirt und stellt uns zwei Limonaden auf den Tisch. »Was führt euch hierher?« Wir erzählen ihm, dass wir auf dem Weg zur Samaria-Schlucht sind und wir heute Nacht irgendwo am Strand schlafen wollen. Er rät uns dazu, heute Nacht nicht mehr weiterzugehen. »Der Weg nach Agia Roumeli ist bei Nacht nicht sehr schön zu gehen«, sagt er, »Und bei Sonnenlicht macht das Ganze eh viel mehr Spaß!« Stattdessen sollen wir uns einfach einen Platz in der Nähe der Taverne suchen, fügt er hinzu. Ihm mache das nichts aus.

Bildergalerie: Von Agios Ioannis nach Agia Roumeli

Recht viel mehr muss er nicht sagen, um uns zu überzeugen. Für heute ist Feierabend! Kurzerhand bestellen wir noch einmal etwas zu trinken. Als der Wirt zurückkommt, hat er nicht nur zwei Flaschen Limonade dabei, sondern auch noch drei Stamperl Ouzo. »Da kommen wir wohl nicht aus«, sage ich mit einem schelmischen Grinsen zu meinem Begleiter. Dann trinken wir gemeinsam mit dem Wirt auf einen schönen Abend!

Unter dem Sternenzelt

Nachdem wir gezahlt haben, verabschieden wir uns vom Wirt und machen uns auf die Suche nach einem Schlafplatz. Auf einer erhöhten Felsplatte, keine zehn Meter weiter, werden wir fündig. Der Grund ist eben, und die Flut wird auf keinen Fall so hoch steigen, dass wir Probleme bekommen. Zufrieden holen wir unsere Isomatten und Schlafsäcke aus den Rucksäcken. Ein Zelt brauchen wir heute nun wirklich nicht! Während die Wellen durch die Finsternis heranrauschen und am Strand zerstieben, studieren wir – wie einst Ptolemäus – das prächtige Sternenzelt. Dann entschwinden wir, dem hellen Schein der Milchstraße zum Trotz, langsam ins Reich der Träume.

Der Sternenhimmel über Agios Pavlos und der Taverne Saint Paul.

Unweit der Taverne Saint Paul schlagen wir unser Nachtlager auf.

Ein neuer Morgen

Gegen 6 Uhr morgens werden wir vom ersten Licht des Tages sanft geweckt. Der Blick hinauf zum Firmament verspricht wieder einmal einen traumhaften Tag. Der Himmel ist wolkenlos und eine angenehme Brise weht uns vom Meer entgegen. Noch leicht verschlafen rollen wir unsere Schlafsäcke zusammen und verstauen sie wieder in den Rucksäcken. »Uff, meine Waden bringen mich um«, ächzt mein Begleiter, während er seine Isomatte zusammenfaltet. »Mal schauen, ob ich hernach wirklich die ganze Samaria-Schlucht raufgehe oder doch nur einen Teil.« Ich schmunzle und beutle den Sand aus meinen Stiefeln.

Paulus auf den Spuren

Bevor wir uns gleich auf den Weg nach Agia Roumeli begeben, machen wir uns noch schnell auf die Suche nach der Kapelle Agios Pavlos, die sich hier irgendwo am Strand befinden muss. Direkt hinter der Taverne werden wir fündig. Neugierig inspizieren wir das alte byzantinische Gotteshaus, das im 10. Jahrhundert zu Ehren des Apostel Paulus errichtet wurde. Der Missionar soll im Jahr 59 n. Chr. nach einem schweren Sturm genau hier an Land gegangen sein.

Die Kapelle Agios Pavlos.

Gotteshaus mit Meerblick: Direkt hinter der Taverne befindet sich die Kapelle Agios Pavlos.

Antike Tagträume

Als die Sonne schließlich über die ersten Gipfel streicht, machen wir uns auf den Weg. Immer an der Küste entlang geht es nun flott gen Westen. Rechts erheben sich die ockerfarbenen Klippen der Weißen Berge, links liegt uns das türkisblaue Wasser des Libyschen Meeres zu Füßen. Gesäumt wird der teils sandige, teils kieselige Küstensteig von blühenden Oleander-Büschen und alten Gemäuern. Soweit von der Zivilisation entfernt fällt es schwer, nicht in Tagträume zu verfallen. Statt im Jahr 2018 n. Chr. könnten wir uns momentan genauso im Jahr 2018 v. Chr. befinden – zwei kretische Hirten auf Wanderschaft durch eine arkadische Idylle, die von antiken Göttern, Helden und Monstern bevölkert wird.

Blühender Oleander bei Agia Roumeli.

Rosa Oleander und türkisblaues Wasser: Der Weg entlang der Küste ist traumhaft!

Ankunft in Agia Roumeli

Aus unseren Tagträumen werden wir erst gerissen, als nach etwa einer Stunde das Fischerdorf Agia Roumeli vor uns auftaucht. Zypressen und blühender Oleander säumen die alten Gemäuer der kleinen Hafengemeinde, die im Moment noch einen recht verschlafenen Eindruck macht. Nachdem wir den leise plätschernden Tarraios überquert haben, schlendern wir für ein paar Minuten durch die leeren Gassen und sehen uns um. Dann wenden wir uns aber auch schon der nächsten Etappe unseres Abenteuers zu: der berüchtigten Samaria-Schlucht!

Die Brücke bei Agia Roumeli.

Unsere Wanderung endet im verschlafenen Fischerdorf Agia Roumeli.

StationenDistanzDifferenzZeit
Agios Ioannis
→ Agios Pavlos +5,7 km 4 m ↑767 m ↓+2h 00m
→ Agios Roumeli+4,1 km185 m ↑180 m ↓+1h 00m
Gesamt 9,8 km189 m ↑947 m ↓ 3h 00m